Ich weiß nicht wie es euch geht. Für einige von euch wird dieser Tag wahrscheinlich gar keine Bedeutung haben. Mit
Sicherheit geht es denen so, die nicht in Deutschland zu Hause sind.
Für mich ist der 9.11.1989 einer der
wichtigsten Tage in meinem Leben. Nicht nur weil ich Zeitzeuge eines
historischen Ereignisses war, sondern weil er für mich persönlich
von großer Bedeutung war und ist.
Deswegen würde ich mich wirklich
freuen, wenn ihr euch die Zeit nehmt und den Post bis zum Ende
durchlest auch wenn er lang ist. Weil er mir so am Herzen liegt.
Ich kann mich noch genau an diesen Tag
erinnern.
Zunächst haben wir ihn verschlafen.
Ich war an dem Abend bei der Jungen Gemeinde und als ich nach Hause kam, schlief meine Mutter vor dem Fernseher - ich bin dann gleich ins Bett gegangen.
Es war die Zeit der Montagsdemonstrationen - auch in Berlin.
Eine Zeit in der so viele Menschen sich
auf den Weg nach Ungarn oder nach Prag gemacht hatten um von dort aus
in den Westen zu kommen. Was ich übrigens, bei aller Kritik an
diesem Verbrecherstaat DDR bis heute nicht verstehe. Wahrscheinlich
deswegen, weil ich schon immer sehr heimatverbunden war und niemals
meine Familie hätte zurücklassen können.
Wie dem auch sei. Mein Vater war an
diesem Tag zufälliger Weise gerade in West-Berlin, zur
Silberhochzeit seiner Cousine und ich durfte bei meiner Mutter im
Ehebett schlafen, was ich offenbar auch noch mit 15 Jahren gerne mal
getan habe :-)
Als der Wecker klingelte habe ich ich das Radio
angemacht und wollte total verpennt ins Bad schlurfen. Meine Mutter
war schon zur Arbeit gegangen.
Plötzlich diese Meldung „gestern
Abend wurden die Grenzübergänge geöffnet.... Menschen stehen auf
der Mauer...“ und auch heute – 25 Jahre danach - jetzt wo ich
das hier schreibe, habe ich noch eine Gänsehaut.
Damals jedenfalls
sickerte diese Info langsam in mein Gehirn und als sie dort ankam,
habe ich gejubelt, bin euphorisch durch die Wohnung gesprungen, habe
gelacht und geweint gleichzeitig. Dabei kamen mir die Worte meines
Vaters in den Sinn, die er immer zu mir gesagt hatte : „Ich
verspreche dir, dass du nicht warten musst bis du in Rente gehst um in den Westen reisen zu können.“
Ich bin damals so schnell ich konnte
zur Schule geflitzt um zu höre was die anderen dazu sagen würden.
Einige waren in der Nacht schon auf dem Ku`dam. Was für eine absolut
unvorstellbare Sache. Nachmittags habe ich mich dann mit meiner
Mutter auf den Weg zu meinem Vater und dessen Cousine gemacht. An den
Grenzübergängen bildeten sich kilometerlange Schlagen. Und wenn wir
im Osten eins gewohnt waren, dann war es Schlange stehen...
Die Menschen hatten Sekt dabei –
woher auch immer. (Wahrscheinlich gebunkert für Ommas nächsten
Geburtstag :-) und haben glücklich miteinander angestoßen. Wie
viele Menschen an diesem Abend auf den Beinen waren. Unvorstellbar!
War von euch schon mal jemand in Las Vegas? Wenn sich abends die
Massen den Strip hochschieben? So ungefähr war das, eigentlich noch
„schlimmer“ Wir konnten es überhaupt nicht fassen - jedenfalls nicht an diesem Abend.
Wie froh bin ich heute, dass meine
Kinder nicht in einem Staat groß werden in dem der erste Schultag
nach den Sommerferien in Pionier oder FDJ-Kleidung mit einem
Fahnenappell beginnt. Bei dem die Pioniertleiterin ins Mikrofon
brüllt „Für Frieden und Sozialismus seid bereit!“ Und die
braven Pioniere kollektiv den Pioniergruß ausführen müssen um
dann im Chor zurückbrüllen „Immer Bereit!“
In dem perverse Stasi-Schweine mit
gemeinsten und perfiedesten Methoden Menschen überwacht, erpresst und
gefoltert haben. Wo sich beste Freunde oder gar Ehepartner freiwillig
oder unter Zwang gegenseitig überwacht haben. Wo jedes kritische
Wort und jeder kritische Gedanke an die Staatssicherheit
weitergeleitet wurde. Wo Kinder zwangsadoptiert wurden, weil die
Eltern bei der Planung oder Durchführung einer „Republikflucht“
erwischt wurden. Die Kinder wurden ihnen dann einfach weggenommen und
kamen in linientreue Familien.
Ein Staat in dem Menschen die in die
Kirche gegangen sind und die Konfirmation hatten und nicht (nur)
Jugendweihe so wie ich, immer von den Lehren schief angesehen und
geächtet wurden und schon mal per se unter Generalverdacht standen.
In dem Kinder deren Eltern einen Ausreiseanrag gestellt hatten
unverzüglich und konsquent aus dem Klassenverband ausgeschlossen
wurden und nicht mehr an gemeinsamen Aktivitäten wie z.B. Fasching
teilnehmen durften.
In dem Kinder, vom Babyalter an durch
die sozialistische Gehirnwäsche gespült wurden. Die ersten Bilder
die wir im Kindergarten gemalt haben, waren Mainelken und DDR-Fahnen.
Natürlich nicht ausschließlich, aber
immerhin.
Ich erinnere mich genau an die das
erste Gedicht,
das wir in unser Schreibheft schreiben mussten.
Ja, der 1. Mai – Tag der Arbeit.
7.
Oktober – Republikgeburtstag.
16. Januar – Sterbetag von Rosa
Luxemburg und Karl Liebknecht
und nebenbei gesagt saukalt. Ein
„bedeutender“ Tag für jeden DDR-Bürger, zumindest in Berlin. Da
hieß es ab zur Demonstration und zwar flotti-galoppi. Jeder der
laufen konnte, wusste seinen Sammelpunkt und hatte dort pünktlich zu
erscheinen. Und wehe du bist nicht angekommen und hattest dafür
keine ausreichende Entschuldigung (z.B. Streckverband oder den eigene
Tod)...
Es wurden strenge Anwesenheitslisten in den Schulen
geführt...
Also wenn ihr uns damals kopfschüttelnd
am Fernseher gesehen habt, wie wir brav dem Genossen Honecker
gehuldigt haben und dabei dachtet, die Ossi´s haben doch echt ein
Ding an der Klatsche, so muss ich euch sagen, es war nicht
freiwillig. Bei den Meisten zumindest.
Diese ganze Gehirnwäsche hat natürlich
Früchte getragen, die bis in die heutige Zeit reichen. Ich hatte das
Glück ein kritisches Elternhaus zu haben und damit ein gesundes
Gegengewicht zu dieser Verblendung. Ich weiß auch, das durch die
Pionier und FDJ-Organisation der Zusammenhalt gefördert wurde. Aber
um welchen Preis ??? Die Reisefreiheit die wir nach der Maueröffnung
endlich hatten war die eine Sache, aber viel wichtiger war doch die
Freiheit im Kopf !!!!
Ich hatte eine sehr schöne Kindheit
ganz unabhängig von dem politischen System und trotzdem untrennbar.
Klar gab es im „Osten“ für mich viele schöne Erlebnisse und
Erinnerungen aber es gab eben auch diese andere Seite. Und die war
nicht gut. Sie war menschenverachtend.
Am Schlimmsten war für mich nicht, dass
wir nicht reisen durfen oder das es wenig in den Läden zu kaufen
gab. Viel schlimmer fand ich wie brutal Familien auseinander gerissen
wurden. Sei es der Vater einer Freundin der nicht mehr von einem
„Westbesuch“ nach Hause gekommen ist. Sei es die Mutter eines
Klassenkamerden, die gänzlich den Kontakt zu ihren Eltern abbrechen
musste weil sie mit einem Stasioffizier verheiraet war und die Eltern
sich nicht von den Geschwistern in West Berlin lossagen wollten oder all die Söhne, Väter, Brüder die kaltblütig an der Mauer abgeknallt wurde usw. Da gab
es unzählige Beispiele. Auf 180 „DDR-Bürger“ kam ein
Stasispitzel. Das muss man sich mal vor Augen halten.
Das Schlimmste was dieses politische
System, dieser Staat DDR den Menschen angetan hat war, dass jeder
kontrolliert und vor allem manipuliert wurde. Die ganze „Fürsorge“ des
Staates für seine Bürger (Krippenplätze bereits ab der 7.
Lebenswoche, ab dann mussten die Frauen nämlich wieder zur Arbeit
gehen, Kindergartenplätze, Pionier-und FDJ-Organisation,
Jugedclubs, der Leistungssport...) dienten nur einem Zweck und zwar der Manipulation –
und das von Anfang an. Diesbezüglich nehmen sich Sozalismus und
Nationalsozialismus gar nichts. Beides waren schlimme Dikaturen, die
völlig identisch waren, außer, dass die Kommunisten nicht so viele
Menschen auf dem Gewissen haben.
Der Größenwahn ihrer Führungskräfte
und die totale Überwachung ist beiden gleichermaßen eigen.
Und solange es auch heute noch eine
Linkspartei gibt, mit Führungskräften aus den Reihen der SED wie
z.B. Gregor Gysi (schlimme Stasivergangenheit) in einer demokratisch
gewählten Regierung, kann ich keinen Frieden mit diesem Unrechtsstaat
DDR machen.
Ich bin dankbar heute in einer Demokratie leben zu dürfen.
Dieses Bild hängt seit dieser Zeit bei meinen Eltern im Flur.
Liebe Grüße aus Berlin
Doreen